Besser kellnern gehen

Warum die aktuelle Streikmaßnahme nicht nur Kinder, sondern ein ganzes Bildungssystem trifft

Kein Mehraufwand mehr in der Schule. Ein drastisches Signal, das Aufmerksamkeit schafft – und weitreichende Folgen hat. Nicht nur für Lehrpersonen und Politik, sondern vor allem für Kinder und Jugendliche, die in diesem Schuljahr auf einen Unterricht gefasst sein müssen, der auf reiner Wissensvermittlung basiert.

Doch auch eine andere Gruppe spürt diese Entwicklung schmerzhaft: Menschen, die in den vergangenen Jahren Schule in Bereichen unterstützt haben, für die Lehrpersonen nicht ausgebildet sind – Theaterpädagog:innen, Museumspädagog:innen, Vereine, außerschulische Partner.

Diese Zusammenarbeit war kein Luxus, sondern ein entscheidender Baustein von Bildung.

“Wenn Theater, Ausflüge und Projekte gestrichen werden, verliert Schule genau das, was Kinder stark macht: Gemeinschaft, Kreativität und Teilhabe. Bildung sollte nicht auf Aufbewahrung reduziert werden“, so Benni Troi, Präsidiumsmitglied des Südtiroler Theaterverbands.

Projekte und Ausflüge sind ein Ort für Kreativität, für Gemeinschaftserlebnisse, für demokratische Teilhabe. Genau diese Bausteine werden nun gestrichen – und das, obwohl die ursprünglichen Gehaltsforderungen der Lehrkräfte bereits teilweise erfüllt wurden. Die aktuelle Maßnahme fühlt sich für viele unverhältnismäßig an.

 

Covid 2.0

Die Pandemiejahre haben gezeigt, was passiert, wenn Schule auf reine Stoffvermittlung reduziert wird: Vereinsamung, soziale Kluften und Kinder, die sich von Kultur und gesellschaftlichem Leben abgeschnitten fühlten. Viele Lehrkräfte haben damals mit großem Einsatz versucht, das Beste daraus zu machen. Umso schwerer wiegt es, dass nun bewusst ähnliche Konsequenzen in Kauf genommen werden.

Klassenfahrten, Museumsbesuche, Workshops, Theaterprojekte – all das fällt weg. Für Kinder bedeutet das weniger Gemeinschaftserlebnisse, weniger Selbstwirksamkeit, weniger Teilhabe. Schule wird wieder stärker zur Betreuungseinrichtung, genau das Gegenteil von dem, was die Lehrpersonen sich wünschen.

 

Jahre der Arbeit für die Katz

Das Theaterpädagogische Zentrum, der Südtiroler Theaterverband und andere Initiativgruppen haben in den vergangenen Jahren unermüdlich daran gearbeitet, Finanzierungsmöglichkeiten für theaterpädagogische Projekte zu sichern. Viele Gelder konnten dank Förderungen bereitgestellt werden. Doch nun bleiben diese Töpfe unangetastet, Projekte werden abgesagt, und Fördermittel müssen ungenutzt zurückgeschickt werden.

„Die vergangenen Jahre haben gezeigt, wie viel Kraft, Zeit und Herzblut in den Aufbau nachhaltiger theaterpädagogischer Strukturen geflossen ist. Dass nun Fördermittel ungenutzt bleiben und Projekte abgesagt werden müssen, gefährdet die Zusammenarbeit und die kreativen Möglichkeiten, die wir für Kinder und Jugendliche geschaffen haben“, meint Alexandra Hofer, freie Theaterpädagogin und Mitinitiatorin des Projekts „Schule braucht Theater“.

Bereits jetzt haben viele Schulsekretariate ihre Mittel zurückgegeben, Ansuchen wurden storniert, Fördertöpfe geschlossen. Es stellt sich die Frage, wie die Initiativgruppe denkt, diese Maßnahme zu beenden, selbst wenn sie ihr Ziel erreicht. Selbst Schulexterne wissen inzwischen, dass der Tätigkeitsplan innerhalb September vom Lehrerkollegium verabschiedet werden muss. Wenn keine schulergänzenden Tätigkeiten stattfinden, werden die dafür zweckgebundenen Mittel wieder freigegeben und es gibt keine Möglichkeit, sie wieder zurückzubekommen. Das heißt: Wenn die Lehrer sich gegen schulergänzende Tätigkeiten entscheiden, dann gilt das für das gesamte darauffolgende Jahr.

Eines ist sicher: Dieser Rückschritt bedeutet nicht nur kurzfristige Verluste, sondern untergräbt jahrelanges Engagement und Netzwerkarbeit. Was über Jahre aufgebaut wurde, droht in wenigen Monaten zu zerbrechen. Es stellt sich die Frage, ob es den Lehrpersonen überhaupt bewusst ist.

 

Ein Schlag für Kultur und Bildungspartner

Auch außerhalb der Schulen hinterlässt der Streik Spuren. Freie Theaterpädagog:innen, Museen, Vereine und andere Bildungsträger haben sich in den vergangenen Jahren oft auf diese Arbeit spezialisiert. Viele von ihnen mussten in der Pandemie bereits um ihre Existenz kämpfen, einige haben den Beruf damals verlassen. Nun stellt sich erneut die Frage: weitermachen oder umsatteln?

Wenn sie gehen, geht mehr verloren als nur ein paar Workshops. Es verschwinden wichtige Partner, die Schule lebendig und vielfältig machen. Die Bildungslandschaft wird ärmer – und es wird Jahre dauern, bis die Menschen wieder genügend Vertrauen in die Schule haben, um den Schritt in die Unabhängigkeit zu wagen.

Dabei, meint Heidi Troi, ehemalige Lehrerin der Grundschule und jetzt als Theaterpädagogin am Theaterpädagogischen Zentrum tätig, „ist es für die Lehrpersonen entlastend, gewisse Bereiche und Themen an Expert:innen abzugeben. Man kann nicht alles können und Schule muss so viel mehr leisten als reine Wissensvermittlung – und dazu gehören auch nicht bewertbare Kompetenzen wie Auftrittskompetenz oder soziale Kompetenz.“

 

Wann ist Schluss?

Die Initiativgruppen reduzieren die Schule auf pure Wissensvermittlung. Aber wer Brecht zitiert und nicht ins Theater geht, ist nicht glaubwürdig. Wie denken “Bildung am Abgrund“ und „Qualitätsmarke Bildung Südtirol“, die Streikmaßnahmen zu beenden, nachdem ihre Forderungen erfüllt wurden? Wo holen sie die Finanzierung für die Busse, Theatereintritte, Klassenfahrten und Theaterworkshops her? Ihre Entscheidung hat Auswirkungen auf viele Experten und Anbieter von Workshops, Fortbildungen und Vorträgen, Künstler, Theaterschaffende, Autoren. Für viele von ihnen bedeuten diese Proteste nicht nur keine Inflationsangleichung, sondern kein Geld. Ein Jahr ist lang. Viele von ihnen werden sich anders organisieren müssen. Das bedeutet aber auch, dass sie nicht mehr zurückkommen. Es stellt sich also die Frage: „Besser kellnern gehen?“

 

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